„Die beste Erfahrung, die ich je gemacht habe“

Freiwilligendienst-Leistende aus Bolivien und Brasilien sammeln Erfahrungen bei der Raphael Gesellschaft und im St. Gerhard-Kindergarten
Scarleth Limon Moscóso sieht den Bewohner des Raphaelsheims neben ihr am Tisch lange an. Er ist völlig vertieft in das Zusammenstecken von Legosteinen. Aber ihm scheint noch etwas zu fehlen. Da reicht ihm de 25-jährige Bolivianerin einen weiteren Stein an. Und auf einmal strahlt der Mann sie an.
Das sind die entscheidenden Momente, die den Dienst der Freiwilligen in Heilbad Heiligenstadt so wertvoll machen: Sie schenken Menschen Zeit, können Bindungen aufbauen und erhalten viel zurück: ein Lachen, ein Danke oder eine Umarmung. „Bei unseren Bewohnerinnen und Bewohnern ist Scarleth sehr beliebt. Mit ihrem freundlichen Wesen und ihrer Zugewandtheit kommt sie gut bei ihnen an“, sagt ihre Anleiterin Andrea Künne.
Einladung kam aus dem Bergkloster Heiligenstadt

Seit März dieses Jahres sind Scarleth Limon Moscóso und María Grace Soto Acre aus Bolivien sowie Leticia Fernandes aus Brasilien auf Einladung der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel zu einem internationalen Freiwilligendienst in Deutschland. Dieser Dienst ist über das weltwärts-Programm des Bundesministeriums für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit anerkannt und wird darüber auch zu einem Großteil finanziert.
Die beiden Bolivianerinnen arbeiten bei der Raphael Gesellschaft in den Eichsfelder Werkstätten und im Wohnheim Haus Michael, die Brasilianerin im St. Gerhard-Kindergarten. Und alle drei sind zufrieden. Leticia Thais Fernandes sagt sogar: „Meine Erwartungen haben sich fast alle erfüllt. Es ist die beste Erfahrung, die ich je gemacht habe.“
Im Haus Michael leben Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen, kognitiv und körperlich. Scarleth Limon Moscóso arbeitet mit bei der Körperpflege einschließlich Waschen und Duschen, beim Herauslegen der Wäsche, der Vorbereitung der Mahlzeiten sowie der Unterstützung beim Essen. Am Nachmittag beschäftigt sie sich zudem mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, übernimmt Freizeitaktivitäten im Haus und Spaziergänge.
Natürlich war die Sprachbarriere am Anfang ein Problem. „Daher haben wir zunächst viel mit einer Übersetzungs-App gearbeitet. Aber wir kamen bald auch ohne aus“, erinnert sich Andrea Künne.
In bunter Gemeinschaft

María Grace Soto Acre arbeitet in den Raphael Werkstätten. Hier befindet sie sich ebenfalls unter Beschäftigten mit geistigen und oft auch körperlichen Beeinträchtigungen. Dort arbeitet sie im Förderbereich, wo die Beschäftigung im Vordergrund steht. Zum Beispiel mit hauswirtschaftlichen Aufgaben wie Backen und Kochen. „Wir spielen, gehen spazieren, machen Sport, gehen zum Reiten, wir singen und gestalten Gemeinschaftsrunden“, nennt María Grace Beispiele. Und Werkstattleiter Matthias Werner ergänzt: „Manchmal holen wir uns ganz einfache Arbeiten aus dem Produktionsbetrieb. Die meisten Menschen sind schwerst-mehrfach behindert, so dass sie nicht unter den Bedingungen einer Werkstatt arbeiten können. Hier geht es vor allem um Teilhabe und darum, den Tag zu strukturieren.“
Die 20-jährige Bolivianerin sagt: „In der Werkstatt hatte ich erwartet, vor allem mit alten Menschen zu tun zu haben. Aber das ist anders. Das war eine interessante Erfahrung. Ich glaube nicht, dass es vergleichbare Einrichtungen in Bolivien gibt.“ Sie fühlt sich gut begleitet und aufgenommen – „besonders gefällt mir, dass alle Mitarbeitenden Geduld mit mir haben und immer freundlich sind. Daher macht mir die Arbeit viel Freude.“
Ihre Anleiterin Susann Ständer betont, dass das nicht selbstverständlich sei: „In den vergangenen Jahren ist der Anteil für die Pflege immer stärker gewachsen. Das liegt vor allem am höheren Lebensalter vieler Beschäftigten sowie der Bewohnerinnen und Bewohner. Mary Grace hat aber gar keine Scheu, pflegerische Aufgaben zu übernehmen: Sie begleitet diese Menschen wie selbstverständlich zur Toilette, unter anderem, um sie zu waschen. Das hilft uns sehr.“ Die Anleiterin lobt: „Sowohl Mary Grace als auch Scarleth schenken unseren Beschäftigten viel Ruhe und Geduld. Es ist schön, das zu sehen.“
Im Kindergarten ist Kreativität gefragt

Auch die dritte im Bunde, Leticia Thais Fernandes, ist im katholischen St. Gerhard-Kindergarten sehr willkommen. Sie arbeitet in einer Gruppe mit zweijährigen Jungen und Mädchen. „Ich kann mich hier gut mit meinen Talenten einbringen, denn ich bin kreativ. Und das ist es, was ich hier mit den Kindern mache: Sie schneiden, basteln, kleben und malen. Deshalb bin ich glücklich hier.“ Angeregt durch diese Erfahrungen möchte die 28-Jährige, die schon eine Ausbildung zur Innenarchitektin absolviert hat, nach ihrer Rückkehr vielleicht noch einmal etwas ganz anderes machen.
Kindergartenleiterin Manuela Dölle kann das durch ihre Beobachtungen nur bestätigen: „Wenn ich in die Gruppe gehe, ist sie immer mittendrin und nie am Rand.“ Besonders schätze sie Leticias Selbstständigkeit: „Als unsere Haushaltskraft in der Küche beispielsweise ausgefallen ist, war sie uns eine große Hilfe.“
Alle drei Freiwilligendienst-Leistenden haben in Heiligenstadt oder im Umland Anschluss und Freundinnen gefunden. María Grace spielt zum Beispiel regelmäßig Basketball. Leticia hat vor allem beim Zwischenseminar in Dresden und dem politischen Seminar in Braunschweig, wo sie viele andere Freiwillige anderer Organisationen getroffen hat, Kontakte geknüpft. Und Scarleth zählt gerne auf, welche Städte sie schon alle kennengelernt hat: Göttingen, Kassel, Hannover und Leipzig sind davon nur einige. Berlin steht auf der Wunschliste noch ganz oben.
Und die Einrichtungen spiegeln zurück, dass der Einsatz der Freiwilligen die Arbeit bereichere und den Horizont weite: Wolfgang Pingel, der Leiter der Raphaelsheims, betont zudem: „Es ist auch schön, dass wir auf diese Weise der Ordensgemeinschaft in Kontakt bleiben. Früher hatten Schwestern aus dem Bergkloster bei uns gearbeitet. Wir würden auch im nächsten Jahr wieder gerne Freiwilligendienst-Leistende aus Südamerika bei uns aufnehmen.“










