Mitleben, Mitbeten, Mitarbeiten

Unsicherheit vor dem Fremdsein, Freude aufs Ankommen

Die Freiwilligendiens-Leistenden singen das Lied  "Lass uns gehen" von der Gruppe Revolverheld. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Die Freiwilligendiens-Leistenden singen das Lied „Lass uns gehen“ von der Gruppe Revolverheld. Fotos: SMMP/Ulrich Bock

Sieben junge Menschen werden im Bergkloster Heiligenstadt zum internationalen Freiwilligendienst „Mitleben auf Zeit“ ausgesandt

Vom „Fremdsein und Ankommen“ können die sieben jungen Männer und Frauen, die in den kommenden Woche zu einem Internationalen Freiwilligendienst als „Mitlebende auf Zeit“ nach Bolivien, Brasilien und Rumänien aufbrechen, derzeit ein Lied singen – und das taten sie auch: bei ihrer Aussendungsfeier am Samstagnachmittag im Bergkloster Heiligenstadt.

Generaloberin Schwester Maria Thoma Dikow freut sich über die Bereitschaft der sieben jungen Männer und Frauen, den Auslandseinsatz anzutreten. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Generaloberin Schwester Maria Thoma Dikow freut sich über die Bereitschaft der sieben jungen Männer und Frauen, den Auslandseinsatz anzutreten.

„Du nimmst all den Ballast und schmeißt ihn weg. Denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck“, heißt es zum Beispiel in dem Lied von Silbermond, das die Freiwilligen in dem Gottesdienst vor 50 Familienangehörigen, Freunden und Ordensschwestern zum Vortag brachten. Und im Schlusslied „Lass uns gehen“ von der Gruppe Revolverheld lautet es: „Lass uns gehen. Hinter Hamburg, Berlin und Köln hören die Menschen auf Fragen zu stellen. Hören wir endlich mal wieder das Meer und die Wellen.“

Solche Zeilen zeugen von der Sehnsucht und der Neugier darauf, etwas Neues zu erleben.

Selbstständiger werden und im Glauben wachsen

Symbolhaft legt Tobias Lafner einen Wochenplaner auf die Decke für die Gewohnheiten, die er in Deutschland zurücklässt. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Symbolhaft legt Tobias Lafner einen Wochenplaner auf die Decke für die Gewohnheiten, die er in Deutschland zurücklässt.

„Ich möchte gerne selbstständiger werden und eine neue Kultur kennenlernen“, sagt zum Beispiel Lucie Krengel aus Sundern. Sie wird ihren Einsatz in dem Pädagogischen Zentrum Sagrada Familia der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel in Leme/Brasilien verbringen. Auch Finya Kuhl wird dort arbeiten. Die 18-Jährige aus Halle an der Saale hat sich unter anderem deshalb für Brasilien entschieden, um ihren Glauben zu festigen: „Ich stamme aus einem wenig kirchlichen Umfeld und freue mich deshalb auf ein christliches Land.“ Und Joanne Maurer aus Paderborn, die in Leme in der Sozialarbeit am Stadtrand mitarbeiten wird, sagt: „Ich bin schon immer gerne gereist. Daher wollte ich die Zeit nach meinem Abitur unbedingt für diese intensive Erfahrung nutzen.“

Während die Familien und Ordensschwestern Wünsche für die neuen MaZ aufschreiben, spielt Joanne Maurer ein Instrumentalstück am Klavier. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Während die Familien und Ordensschwestern Wünsche für die neuen MaZ aufschreiben, spielt Joanne Maurer ein Instrumentalstück am Klavier.

Dominik Zumsande aus der Nähe von Osnabrück hat sich bewusst Rumänien ausgewählt: „Auch ich finde es spannend, etwas ganz Neues zu erleben. Geografisch muss das gar nicht so weit weg sein.“ Über das Angebot eines Freiwilligen-Einsatzes mit SMMP in diesem Land hatte er von einem Freund erfahren.

Leonhard Braun aus München wiederum wird seinen Einsatz in der Casa de niños in Cochabamba/Bolivien verbringen: „Mein Bruder hat dort schon einen Internationalen Freiwilligendienst geleistet. Das hat mich inspiriert.“ Durch Praktika in Kindergärten habe er erfahren, wie gut er mit Kindern umgehen kann. „Deshalb freue ich mich jetzt auf diesen Einsatz.“

Nichtwissen befremdet – wie bei den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus

Die Schwestern schreiben Wünsche auf, die sie den jungen Freiwilligendienst-Leistenden mit auf den Weg geben wollen. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Die Schwestern schreiben Wünsche auf, die sie den jungen Freiwilligendienst-Leistenden mit auf den Weg geben wollen.

Pfarrer Bernd Kucklick, Spiritual im Bergkloster Heiligenstadt, nahm Bezug auf die Geschichte aus dem Lukas-Evangelium über die Jünger auf dem Weg nach Emmaus, die Jesus neben sich nicht erkannten. Er erklärte: „Die Jünger, die auf dem Weg nach Emmaus sind, konnten nicht verstehen, dass Jesus am Kreuz gestorben war. Alles schien aus zu sein. Ein Nichtwissen befremdet. Man weiß nichts damit anzufangen.“

Rektor Bernd Kucklick segnet die Handschmeichlerkreuze, die die Freiwilligen mit in ihren Einsatz nehmen. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Rektor Bernd Kucklick segnet die Handschmeichlerkreuze, die die Frewilligen mit in ihren Einsatz nehmen.

Die jungen MaZ hätten sich aber bewusst entschlossen, für eine gewisse Zeit in ein fremdes Land zu gehen: „Es ist eine Begegnung mit einer anderen Sprache, anderen Kultur, anderen Gewohnheiten. Es wird manches geben, was sie nicht sofort verstehen. Und so werden sie verstehen lernen, was Fremdsein bedeutet.“ Zuwendung zu schenken sei eine Brücke, die Fremdes überwindet. Das sei eine der Aufgaben im Internationalen Freiwilligendienst: „Ich wünsche Ihnen, dass Sie selbst solche Brücken erleben und selbst Brücken bauen. So werden Sie erfahren, dass Sie das Fremdsein verlassen und wirklich ankommen. Denn das Leben wird erst durch das Füreinander und Miteinander wertvoll für die gesamte Gemeinschaft.“

Die Abreise erfolgt mit leichtem Gepäck

Schwester Maria Thoma sendet die jungen "Mitlebenden auf Zeit" aus. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Schwester Maria Thoma sendet die jungen „Mitlebenden auf Zeit“ aus.

Symbolisch stellen die künftigen „Mitlebenden auf Zeit“ in der Kirche einen Koffer auf für die Dinge, die sie mitnehmen werden. Und davor legten sie eine Decke für alles, was sie hierlassen wollen.

Finya Kuhl nimmt beispielsweise ein Kuscheltier von ihrem Freund mit: „Von ihm werde ich zehn Monate getrennt sein. Aber das Kuscheltier wird mich begleiten.“ Helena Kürschner aus der Nähe von Stuttgart, die in Leme in der Stadtrandarbeit arbeiten wird, wählte ihre Halskette mit einem Kreuz als Symbol: „Denn der Glaube wird mich begleiten, in der neuen Umgebung anzukommen.“

Birgit Bagaric übergibt den Freiwilligen das Handschmeichler-Kreuz. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Birgit Bagaric übergibt den Freiwilligen das Handschmeichler-Kreuz.

Lucie Krengel aus Sundern im Sauerland legte ein Frühstücksbrettchen auf die Decke, „weil ich sicher das gemeinsame Sonntagsfrühstück mit meiner Familie vermissen werde.“ Sie geht ebenfalls nach Leme. Und Tobias Lafner, der zusammen mit Leonhard Braun nach Cochabamba geht, wählte einen Wochenplaner „als Symbol dafür, dass ich meine alten Gewohnheiten in Deutschland lassen will.“ In den Koffer tat er einen Kompass – „als Zeichen dafür, dass mir der Auslandseinsatz helfen möge, Gewissheit für meinen weiteren Lebensweg zu finden.“

Mitleben mal aus der Distanz, mal in intensiver Nähe

Die MaZ tragen ihre Fürbitten vor.  Foto: SMMP/Ulrich Bock
Die MaZ tragen ihre Fürbitten vor.

Die Generaloberin der Ordensgemeinschaft, Schwester Maria Thoma Dikow, überreichte den jungen MaZ bei der Aussendung ein Handschmeichler-Kreuz: „Das kann man mal unauffällig in die Hand nehmen, wenn man sich festhalten möchte. Pfarrer Kucklick segnete diese Kreuze. Schwester Maria Thoma betonte: „Das ist kein magischer Akt, sondern ein Zeichen dafür, dass Jesus Sie begleiten möge.“

50 Familienangehörige, Freunde und Ordensschwestern nehmen an der Aussendungsfeier teil. Foto: SMMP/Ulrich Bock
50 Familienangehörige, Freunde und Ordensschwestern nehmen an der Aussendungsfeier teil.

Die Generaloberin bedankte sich bei den Freiwilligen, dass Sie diesen Auslandseinsatz antreten: „Sie gehen zu Menschen, die buchstäblich am Rand er Stadt und am Rande der Gesellschaft stehen. Als ‚Mitlebende auf Zeit‘ werden sie aus der Distanz, mal in intensiver Nähe mit den Menschen leben, zu denen sie heute gesandt werden. Auch zu den Ordensschwestern. Menschen, die Ihnen heute noch fremd sind und vielleicht zu Freunden werden.“ Ebenso bedankte sich Schwester Maria Thoma bei den Eltern, „denn Sie bringen uns das Vertrauen entgegen, Ihre Söhne und Töchter entsenden zu dürfen. Ich hoffe, dass die Erfahrungen Ihrer Kinder für Ihre ganze Familie eine Bereicherung sein werden.“

„Die beste Entscheidung meines Lebens“

Der Koffer ist gefüllt mit jeder Menge guter Wünsche für die Freiwilligen. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Der Koffer ist gefüllt mit jeder Menge guter Wünsche für die Freiwilligen.

Schon seit 28 Jahren senden die Schwester der heiligen Maria Magdalena Postel im Rahmen des Programms „Mitleben auf Zeit“ – kurz MaZ – junge Menschen zwischen 18 und 28 Jahren zu einem Internationalem Freiwilligendienst nach Bolivien, Brasilien, Mosambik und Rumänien aus. Der Dienst ist über das Bundesprogramm weltwärts bzw. den Internationalen Jugendfreiwilligendienst anerkannt. Dafür werden die jungen Erwachsenen ein halbes Jahr lang intensiv vorbereitet. Die pädagogische Begleiterin Birgit Bagaric hat mit ihnen schon 15 Vorbereitungstage in Präsenz und online verbracht, auch mit Unterstützung ehemaliger Freiwilliger.

Die Freiwilligen lesen die Wünsche während der anschließenden Begegnung bei Kaffee und Kuchen und teilen sie auf. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Die Freiwilligen lesen die Wünsche während der anschließenden Begegnung bei Kaffee und Kuchen und teilen sie auf.

Insgesamt gibt es bereits 350 Rückkehrerinnen und Rückkehrer, von denen sich viele in dem Ehemaligen- und Förderverein „Brückenschlag“ engagieren. Alle hat die Auslandserfahrung geprägt und weitergebracht. Das bestätigt auch Konstantin Braun, der seinen Bruder bei der Aussendungsfeier am Samstag begleitete und selbst vor drei Jahren in Cochabamba im Einsatz war: „Für mich war das die beste Entscheidung meines Lebens. Ich bin viel reifer geworden und hat mir geholfen, viel offener auf Menschen zuzugehen.“

Freuen sich mit Generaloberin Schwester Maria Thoma Dikow und der pädagogischen Leiterin Birgit Bagaric (3.v.r.) auf ihren Auslandseinsatz als "Mitlebende auf Zeit" (v.l.): Dominik Zumsande, Tobias Lafner, Leonhard Braun, Lucie Krengel, Finya Kuhl, Joanne Maurer und Helena Kürschner. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Freuen sich mit Generaloberin Schwester Maria Thoma Dikow und der pädagogischen Leiterin Birgit Bagaric (3.v.r.) auf ihren Auslandseinsatz als „Mitlebende auf Zeit“ (v.l.): Dominik Zumsande, Tobias Lafner, Leonhard Braun, Lucie Krengel, Finya Kuhl, Joanne Maurer und Helena Kürschner. Foto: SMMP/Ulrich Bock